Während gegenwärtig die Makarts der Fotokunst, getragen von den
Kapitalströmen des Kunstmarktes und der großen Medienresonanz,
das Sichtbare der Wirklichkeit mit Hilfe der Digital- und Großbildlabortechnik
in überdimensionierten Bildern punktieren, nutzen andere schon längst
die vom Erfordernis des Abbildens befreiten fotografischen Mittel jenseits
des Abbildhaften. Ein Phänomen, vergleichbar mit den Medieninterdependenz
gegen Ende des 19. Jahrhundert, als die offizielle Historienmalerei noch
in riesigen Leinwandgrößen schwelgte, wo andere Künstler
bereits dazu übergegangen waren, sich auf das Malen selbst, auf die
Darstellungsformen und -möglichkeiten sowie auf eine veränderte
Wirklichkeitswahrnehmung einzulassen. Insofern offeriert die Kunstgeschichte
seit mehreren Jahren Déjà-vu-Erlebnisse. Jenseits des Mainstreams
angesiedelt, ist den fotografischen Farbarbeiten von Christina Paetsch,
die nach einer Malerausbildung an der Hochschule der Künste seit gut
zehn Jahren mit fotografischen Mitteln arbeitet, ihr malerischer Ansatz
auf den ersten Blick anzumerken - und das, obwohl ihre Bilder mit ihren
glänzenden Oberflächen, der rahmenlosen wie gemäldegroßen
Präsentation und dann vor allem ihrer nuancierten Farbigkeit einen
ganz und gar fotografischen Habitus einnehmen. Mit dieser ansprechend in
Gruppen und Serien gehängten Ausstellung erweitert die Galerie Seitz
& Partner ihr Angebot zeitgenössischer Fotokunst, das sie bisher
mit John Hilliard, John Schuetz und Torsten Warmuth markierte. Der Blick
des Ausstellungsbesuchers trifft auf vermeintliche Objektdarstellungen,
vermeintlich deshalb, weil nicht klar zu sagen ist, ob und in wie weit die
objektartigen Gebilde tatsächlich existieren und um was genau es sich
handelt. Da konturieren sich knochenartige Ausformungen, Röntgenbildern
entnommen, dann wieder Gebilde, die eher an menschliche oder tierische Organe
denken lassen. Diese motivisch wie auch hinsichtlich ihrer wahren Größe
indifferenten Erscheinungen werden noch durch Überlagerungen mehrerer
Bilder gebrochen, so daß auch bezüglich der eingesetzten Technik
die spekulative Frage aufkommt, ob die objekthaften Gebilde am Rechner digital
kreiert worden sind. Diese unvermeidbare Irritation scheint von der Künstlerin
bewußt intendiert. Denn die den Bildern beigegebenen Titel "Nach
dem Bade", "Drehkörper", "Schönheitsfarm"
oder "Gläserne Nacht" lösen allenfalls Assoziationen
aus, ansonsten zwingt Christina Paetsch den Betrachter, sich eigene Gedanken
über die ihn berührenden Bilder zu machen. Daß er von ihnen
unberührt bleibt, ist nämlich kaum anzunehmen, zu dicht liegen
die möglichen Lesarten an seinem Erfahrungswissen. Wobei die evozierten
Befindlichkeiten von der jeweiligen Geschlechtszugehörigkeit abhängen
dürften, können die stillebenhaft erfaßten Gebilde doch
als natürliche Organe wie als rohes Fleisch und das insgesamt dominierend
wiederkehrende, changierende Rot als Blut interpretiert werden. Ungeachtet
des hochästhetischen Gesamterscheinungsbildes werden deshalb durchaus
auch negativ konnotierte Vorstellungen aktiviert und es liegt sogar eine
gewisse Provokation in den Bildern. Grenzen doch Harmonie wie Schock, Wohlgefallen
wie Ekel und Obszönität wie Erotik in ihren jeweiligen Spannungsfeldern
den Assoziationsraum ab. Indem Christina Paetsch solchermaßen in die
Abstraktion zielt, nimmt sie dem Fotografischen den ansonsten gewohnten
Charakter des Memento mori, den Gedanken an das Gewesene wie des Verschwindens.
Selbst da, wo ihre Bilder an Biologisches denken lassen, also an eine Materialität
mit unausweichlicher irreversibler Vergänglichkeit, betont sie weniger
das Verschwinden als die Existenz einer neuen, fotografisch konstituierten
Wirklichkeit - eine gedanklich erweiterte, künstlerisch autonome Wirklichkeit.
Dr. Enno Kaufhold